
Seyhat, was wolltest du als Kind werden?
Ehrlich gesagt, hatte ich als Kind keine wirklichen Träume. Ich bin nämlich in einem sehr kleinen Dorf im Osten der Türkei aufgewachsen. Dort hat man sich mit solchen Themen gar nicht beschäftigt und man konnte es auch gar nicht: Wir hatten im Dorf weder ein Radio noch einen Fernseher, dass uns für persönliche Träume überhaupt inspirieren konnte. Unsere Welt bestand damals nur aus diesem kleinen Dorf und der Gegenwart.
Wie hast du erfahren, dass du nach Deutschland gehen wirst?
Wir haben ja damals selbst den Antrag gestellt, um nach Deutschland als Gastarbeiter zu gehen. Deshalb kam das nicht überraschend für uns. Damals gab es aber eine bestimmte Tradition: die Person, die den Brief mit der Zusage für Deutschland überbringt, die bekommt ein kleines Stück Gold geschenkt. In unserem Fall war es unser Nachbar Resit, der uns mitteilte, dass wir in Deutschland als Gastarbeiter angenommen wurden. Er wollte aber von mir das für ihn bestimmte Gold gar nicht annehmen. Stattdessen wollte er, dass ich für ihn Manti zubereite.
Was hast du in Deutschland beruflich gemacht?
Ich habe als Mama gearbeitet, ein äußerst unterschätzter Vollzeit-Job. Mein Mann und ich wurden mit sieben Kindern gesegnet, um deren Erziehung ich mich mit voller Hingabe kümmern durfte. Mein Mann hingegen hat mehr als 50 Jahre lang fleißig gearbeitet, damit es den Kindern an nichts fehlt.
Cay oder Kaffee?
Da muss ich nicht lange überlegen: Cay.
Was war der beste Cay deines Lebens?
Ah, an den kann ich mich gut erinnern. Den besten Cay meines Lebens habe ich in unserem allerersten Türkei-Urlaub getrunken, nachdem wir nach Deutschland gezogen sind. Die ersten Jahre in Deutschland sind mir nämlich damals sehr schwer gefallen. Ich hatte meinen Eltern zurückgelassen, die ich sehr vermisste. Man muss wissen, dass wir damals auch mangels an Möglichkeiten nicht wirklich miteinander telefonieren konnten und sich deshalb auch nicht regelmäßig austauschen konnte. Als wir dann das erste Mal mit dem Auto wieder in der Türkei angekommen sind, habe ich gesehen, wie mein Papa aus dem Fenster schon sehnsüchtig Ausschau nach uns hielt. Als er uns im Auto erkannte, riss er sofort das Fenster auf und rief:“Mein Schatz! Endlich seid ihr da, kommt schnell hoch. Deine Mama hat schon Cay aufgelegt!“. Der Cay selbst war eigentlich so wie immer, aber das Beisammensein mit seinen liebsten Menschen, die man so sehr vermisst hat, machte diesen Cay so besonders für mich. Wir saßen im Wohnzimmer, schlürften am Cay, redeten über Gott und die Welt und waren einfach dankbar für das Beisammensein. An diesen Moment werde ich mich für den Rest meines Lebens erinnern.
Was war in deinem Koffer, als du zum ersten Mal wieder zurück in die Türkei bist?
Wir hatten für die ganze Nachbarschaft Sachen aus Deutschland mitgebracht. Da waren Krawatten, Hemden, Tücher, Radios und viel Schokolade in die Koffer eingepackt, die wir dann in der gesamten Nachbarschaft in der Türkei verteilten. Dabei hatten wir selber gar nicht das notwendige Geld dafür. Aber mein Mann lieh sich Geld aus, um der Nachbarschaft diese Freude zu bereiten.
Würdest du im Nachhinein nochmals nach Deutschland auswandern?
Ja, ohne Zweifel. Meine ganzen Erinnerungen an meinen eigene Familie sind mit Deutschland verbunden. Die Türkei ist zwar meine Herkunft, aber in Deutschland habe ich meine eigene Familie gegründet. Ich liebe Deutschland und bin sehr glücklich hier.
Gibt es etwas, was aus der Türkei vermisst?
Ja, den täglichen Gebetsruf. Der lässt mich - wenn auch nur für einen kurzen Augenblick - das alltägliche Leben vergessen.
Was vermisst du generell an früher?
Ich habe den Eindruck, dass uns früher vielmehr Gäste besucht haben. Das fehlt mir ehrlich gesagt. Ich glaube, dass sich Menschen mittlerweile seltener persönlich treffen als früher. Man verabredet sich stattdessen vielmehr auf den Handys. Das finde ich schade.
Was ist das deutscheste Wort für dich?
„Nix verstehen deutsch“ :D
Welchen Ratschlag hast du an deine Enkel:innen?
Vernachlässigt nicht eure Bildung!
Was wünschst du dir, was deine Enkeln über dich sagen sollten?
Unsere Oma ist eine ehrliche Frau, die die besten Manti der Welt zubereitet :D
Vielen Dank für das nette Gespräch!


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Gastarbeiter:In des Monats Januar
4 comments
So schön geschrieben, bitte mehr Geschichten, am liebsten zum Teilen für Social Media, die Geschichten gehören veröffentlicht <3
Pure Wahrheit und schön zu lesen. 💛
So schön….musste gleich an meine Oma denken. Danke dafür🤍
Güzel anneciğimle,güzel bir söyleşi ve yazıya döküş olmuş sevgili Furkan.Emeğine sağlık